Wie entsteht Perfektionismus?
Bestimmt hast Du Dich auch schon einmal gefragt, warum manche Menschen eine perfektionistische Tendenz haben und andere nicht. Hier erfährst Du, wie Perfektionismus entsteht und welche Auslöser Perfektionismus begünstigen. So viel vorab: Ja, die Kindheit spielt eine Rolle, doch es gibt auch weitere Auslöser. Erfahre in diesem Artikel mehr.
Was sind Auslöser von (hinderlichem) Perfektionismus?
Wie bereits im Blogbeitrag zu “Der Perfektionismus und seine zwei Gesichter” erklärt, ist Perfektionismus per se erst mal weder negativ noch positiv. Doch es gibt bestimmte Tendenzen, die Perfektionismus für uns hinderlich machen. In diesem Artikel schauen wir uns, wie genau diese hinderlichen Seiten des Perfektionismus entstehen und welchen Ursprung sie haben können.
Wir schauen uns an, warum manche Menschen ihre Standards flexibel anpassen können, während es für andere nicht möglich ist, von den hohen Standards abzuweichen. Wir betrachten die Ursachen für Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit und den blockierenden Umgang mit Misserfolgen.
Die Forschung dazu steht noch am Anfang, doch es lassen sich bereits einige Ursachen nennen, die einen hinderlichen Perfektionismus begünstigen. Hier kommen vier mögliche Ursachen.
Unsere Gene – ja, wir können “Perfektionismus” bereits in uns tragen
Es scheint in gewissem Umfang anlagebedingt zu sein, ob wir hohe Ansprüche haben, uns hohe Standards setzen und ausgeprägte perfektionistische Tendenzen zeigen.
In verschiedenen Zwillingsstudien wurde festgestellt, dass Unterschiede in perfektionistischen Ausprägungen – also beispielsweise förderlich und hinderlich – zu 30% bis 50% genetisch bedingt ist. Dabei wurde unter anderem die Reaktion auf Fehler untersucht. Bereits hier lässt sich feststellen, dass manche Menschen aufgrund ihrer genetischen Anlage negativer auf Fehler reagieren als andere. Ebenfalls das Setzen hoher Maßstäbe scheint in unseren Genen zu liegen.
Das wiederum führt dazu, dass wir Strategien entwickeln, um weniger Fehler zu machen. Ein Schutzmechanismus, der sich schnell in hinderlichem Perfektionismus verirren kann. Denn wenn der Fokus ist, Misserfolge zu vermeiden, wird Perfektionismus zum Problem (Slade & Owens, 1998).
Doch auch wenn wir diese Veranlagung in uns haben sollten, sind wir dieser nicht ausgeliefert. Wenn wir uns bewusst machen, wie wir mit Fehlern, Misserfolgen und Maßstäben umgehen, können wir etwas verändern. Wir können lernen, Fehler als Erfahrung und Wachstumsmöglichkeit anzusehen. Wir können lernen, dass wir nicht weniger wert sind, wenn wir Fehler machen.
Unsere Erziehung – Strategien, die wir als Kind lernen
Die Erfahrungen, die wir als Kind in unserem Elternhaus machen, können ebenfalls eine Ursache von Perfektionismus sein. Altstötter-Gleich & Geisler (2018) orientieren sich dabei an vier Modellen, die perfektionistische Tendenzen bedingen können.
Das Modell sozialen Lernens:
Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass wir unser Verhalten erlernen können, wenn wir es bei anderen Menschen beobachten. Auf Perfektionismus bezogen, kann man ableiten, dass wir perfektionistisches Verhalten früh lernen können, wenn unsere Eltern ein solches Verhalten zeigen. Beispielsweise das Setzen von anspruchsvollen Zielen, hohen Maßstäbe oder den Umgang mit Fehlern.
Modell der sozialen Reaktion:
Hier ist die Annahme, dass wir Verhaltensweisen erlernen, um bestimmte Reaktionen bei anderen auszulösen. Wenn die eigenen Eltern sehr chaotisch sind oder einen “harten” Umgang zeigen, können Kinder die Strategie und das Verhalten entwickeln, sich mit Perfektionismus, hohen Standards und Ansprüchen vor Verletzungen zu schützen (d.h. die Reaktion der Eltern mit diesem Verhalten positiv beeinflussen).
Modell sozialer Erwartungen:
Dieses Modell sagt, dass wir ein Verhalten öfter zeigen, wenn wir dafür belohnt werden und weniger zeigen, wenn wir keine Belohnung erhalten. Wenn Kinder merken, dass sie vor allem dann Wertschätzung und Anerkennung ihrer Eltern bekommen, wenn sie gute Leistungen erbringen, kann dies dazu führen, dass sie dieses Verhalten öfter zeigen, da sie eine Belohnung bekommen. Hohe Leistungen, Ansprüche und Erfolge werden als etwas Erstrebenswertes empfunden. Dies kann so verinnerlicht werden, dass es auch später im Erwachsenenleben fortgeführt wird.
Das Modell ängstlichen Erziehungsstils:
Wie bereits in dem vorherigen Modell, spielen auch in diesem die Erwartungen der Eltern eine entscheidende Rolle. Im Fokus stehen dabei die zu ewartenden möglichen Konsequenzen von Fehlern, Versagen und Misserfolgen. Haben Eltern Angst vor Zurückweisung, Fehlern, etc. geben sie dies an ihre Kinder weiter. Daher wird angenommen, dass Kinder Perfektionismus als Strategie nutzen, um sich vor der vermeintlichen Gefahr des Scheiterns zu schützen. Misserfolge und Fehler zu vermeiden, wird zum Motiv.
Es zeigt sich also, dass wir aufgrund von Lernerfahrungen, die wir als Kinder machen, eine Tendenz zum hinderlichen Perfektionismus entwickeln können.
Unser Umfeld – Verhalten, dass wir von engen Freunden abschauen
Ähnlich wie unser Elternhaus, kann auch unser engstes Umfeld Einfluss auf die Entwicklung von perfektionistischen Tendenzen haben.
Insbesondere das Modell sozialen Lernen greift auch hier, da wir viel von unseren engsten Freunden und Verwandten lernen. Haben wir Freunde, die sehr perfektionistisch geprägt sind, sich hohe Ziele setzen und hohe Ansprüche haben, kann das auf uns abfärben und wir entwickeln ein ähnliches Verhalten.
Auch hier kommt es viel auf die Erfahrungen an, die wir früh machen und verinnerlichen.
Die heutige Leistungsgesellschaft
Ob gesellschaftliche Faktoren ebenfalls perfektionistisches Verhalten begünstigen, ist wenig wissenschaftlich untersucht. Fakt ist allerdings, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben und schon früh vermittelt bekommen, dass gute Noten, Erfolge, etc. uns weiterbringen.
Teilweise spornt uns die heutige Gesellschaft an, uns selbst zu optimieren, hohe Ansprüche zu haben und möglichst wenig Fehler zu machen. Dies fördert keineswegs einen gesunden Umgang mit Perfektionismus.
In manchen Unternehmen herrscht immer noch eine Null-Fehlerkultur. Wer Fehler macht, wird betraft. In solch einem Umfeld wird hinderlicher Perfektionismus begünstigt und Wachstum eingeschränkt.
Veränderung ist jederzeit möglich
Dieser Beitrag beleuchtet die unterschiedlichen möglichen Ursachen von Perfektionismus. Doch auch, wenn wir genetisch perfektionistische Tendenzen in uns tragen oder in unserer Kindheit erlernt haben, heißt dies nicht, das wir das heute nicht ändern können.
Wir sind nicht mehr das Kind von damals, sondern erwachsen. Es hilft, sich mit möglichen Entstehungsursachen auseinanderzusetzen, doch wir haben es in der Hand, uns zu verändern. Unsere Glaubenssätze und unbewussten Strategien aufzubrechen und einen förderlichen Umgang mit Perfektionismus zu lernen.
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